Der Anblick irritiert im ersten Moment. Da sitzt eine kahlrasierte Frau im Rollstuhl, die Arme fixiert, die Beine übereinandergeschlagen, unruhig bewegt sich der Kopf in alle Richtungen. Die Augen aber fixieren den Besucher hellwach, neugierig, fragend. Stephanie Schuchmann, die zum zweiten Mal das Fritz-Felsenstein-Haus besucht, lebt auf Grund einer umfangreichen Tetraspastik mit starken körperlichen Einschränkungen. Sie kann nicht sprechen, wird jedoch gleich einen Vortrag über ihre Alltagserfahrungen halten. Dazu benutzt sie einen Sprachcomputer, einen sogenannten Talker, den sie mit ihren Augenbewegungen steuert.
Der Lebenstraum von der eigenen Wohnung
Was einige FFH-Besucher erst seit ein paar Monaten wagen, hat Stephanie Schuchmann schon vor 20 Jahren umgesetzt. Sie lebt ihren Traum von einem individuellen Leben in der eigenen Wohnung in Osnabrück: mit 24-Stunden-Assistenz, selbstbestimmt und glücklich. 50 Interessierte aus dem FFH sind gekommen, um den sehr persönlichen Bericht einer lebensfrohen und lebenserfahrenen Frau zu hören. Mit dabei ihre persönlichen Assistenten Nikolas Lubbe und Hendric Hovan, die sie auf ihrer 4-tägigen Reise begleiten. Seit einiger Zeit hält die 44-Jährige deutschlandweit Vorträge über ihre Alltagserfahrungen und den speziellen Bedürfnissen von Menschen mit schweren körperlichen Behinderungen.
Fehlende Sprache
Stephanie Schuchmann erzählt von ihrer Kindheit, ihrem liebevollen Elternhaus, aber auch vom Schmerz und Leid, die sie bei zahlreichen Operationen erfahren musste, oft bedingt durch ihre fehlende Sprache. Sie berichtet vom schmerzhaften Auszug aus dem Elternhaus, vom Verliebtsein in jungen Jahren, den Enttäuschungen und den späteren Alkoholproblemen, von ihrer Liebe zu ihrer Hündin Sarah, die sie einschläfern lassen musste, von Suizidgedanken und dem langen, mühsamen Weg zur starken Persönlichkeit, die sie heute ist. Sie sagt „gehen“ statt „fahren“, obwohl sie im Elektro-Rollstuhl sitzt. „Meine Stärke ist die Liebe zu mir selbst“, so beschreibt sie ihren Glauben an sich selbst.
„Buchstaben mit der inneren Stimme verbinden“
Ihre Sprache ist sehr direkt, oft humorvoll. Bei den Antworten, die sie auf die Fragen des Publikums mit ihrem Talker formuliert, wird deutlich, wie sie mit ihrer Umwelt kommuniziert. Da sie keine Maus führen kann, arbeitet ihr Talker mit einer Infrarot-Augensteuerung. Auf ihrem Bildschirm erscheint ein Tastenfeld mit Buchstaben, die sie kurz fixiert; so werden aus Wörtern ganze Sätze, die der Talker wiedergibt. Schneller geht die Mitteilung über ihre beiden Assistenten. Da benutzt sie ihre eigene Augensprache, indem sie die Buchstaben – für die Assistenten spiegelverkehrt – weitausholend in die Luft malt. „Nach zwei Monaten beherrscht man das so, dass man mit Steffi sprechen oder als Dolmetscher übersetzen kann. Mit der Zeit wurde daraus die verkürzte Steno-Augensprache, die wir jetzt benutzen“, erzählt Nikolas Lubbe. Wie sein Kollege auch, ist er Jurastudent und einer von insgesamt 5 jungen Männern, die Stephanie Schuchmann im Schichtdienst rund um die Uhr als Assistenten beschäftigt. „Sie sind mein verlängerter Arm und mein verlängertes Bein“, sagt Stephanie Schuchmann und man merkt sofort, wer hier das Sagen hat. „Sie organsiert ihr Leben selbst. Was sie wann tun möchte, bestimmt alleine sie. Wir sind ihre Assistenten, nicht ihre Betreuer“, sagt Hendric Hovan, der diesen Job seit zwei Jahren macht und so sein Studium finanziert. Bezeichnend auch die Tatsache, dass Stephanie Schuchmann keine Assistenten einstellt, die einen pädagogischen, therapeutischen oder erzieherischen Beruf ausüben. „Die wollen einen immer erziehen“, sagt sie und hat damit die Lacher auf ihrer Seite.
Motivation für Menschen mit Behinderung
„Sie ist die beste Motivatorin, die man sich für unsere FFHler vorstellen kann“, so Roland Salvamoser, Ergotherapeut und Spezialist für Hilfsmittel und computergesteuerte Assistenzsysteme im FFH. Er hatte Stephanie Schuchmann vor zwei Jahren auf einer Messe kennengelernt und nach Königsbrunn eingeladen. Die Osnabrückerin ist ein leuchtendes Beispiel dafür, dass mit persönlicher Assistenz bei Pflege und Alltagserledigungen auch Menschen mit starken Körperbehinderungen in der eigenen Wohnung leben können. Mit der neu gegründeten Tochtergesellschaft PASst! bietet das FFH diese Möglichkeit z.B. im Generationenpark Königsbrunn an.